Tot ist nicht genug - Stories von Why-Not

Stories von Why-Not
Stories von Why-Not
Direkt zum Seiteninhalt
Cover: Dämonen der Leidenschaft
Cover: Die Sklavin des Patriziers
Cover: Tot ist nicht genug
Cover: Sklavin V
Cover: Das Elixier von Zeta-7
Tot ist nicht genug
von Why-Not

Tredition Verlag

Kriminalroman

152 Seiten

ISBN 978-3-8424-0197-6 (Buch)
ISBN 978-3-86850-988-5 (eBook)
Inhalt des Romans
Als ein Toter nackt von einem Ast hängend an der Autobahn entdeckt wird, ahnen der erfahrene Kriminalbeamte Karlheinz Gödel und sein junger Kollege Markus Schneider bereits, daß dies kein gewöhnlicher Mordfall ist. Bei ihren Ermittlungen, die sie auch ins Bankenmilieu führen, stoßen sie auf ein Geflecht aus Habgier, Korruption und Haß, in das offenbar auch das Opfer verstrickt war. Als ein weiterer Toter unter ähnlichen Umständen gefunden wird, erhalten die Ermittler Unterstützung durch eine attraktive Psychologin mit höchst ungewöhnlichen Interessen und Tätigkeitsschwerpunkten.

Perfide Morde, skurrile Zeugen, sympathische Ermittler und eine spannenden Tätersuche, das sind, zusammen mit einer Prise Humor, die Zutaten dieses Krimis.

Der Betriebsrat eines international tätigen Finanz-Instituts wurde unter mysteriösen Begleitumständen ermordet. Auf den Rücken des Toten ist eine Kontonummer eingebrannt, über die er offenbar regelmäßig größere Beträge erhielt. Erste Ermittlungen bei seinem Arbeitgeber legen nahe, daß er bei rüden Methoden des Personalabbaus eine unrühmliche Rolle spielte. Als die Leiche des Personalchefs jener Bank unter ähnlichen Umständen gefunden wird, scheint zumindest das Motiv klar zu sein. Allerdings ist der Täter offenbar mit besonderer Planung und Umsicht vorgegangen. Immer, wenn die Kriminalbeamten Gödel und Schneider glauben, eine vielversprechende Spur zu ihm gefunden zu haben, verläuft diese im Sande. Erst die Mithilfe einer freiberuflichen Psychologin, die sich gelegentlich auf geradezu erschreckende Weise in das Vorgehen des Täters hineinversetzen kann, läßt Bewegung in die Ermittlungen kommen und verursacht zudem heftige Turbulenzen im Gefühlsleben des jüngeren Ermittlers.
Leseprobe
A5 – Ausfahrt Weiterstadt
(Montag, nachmittags)

»Soll ich dir einen Kaffee mitbringen, Karlheinz?«
Markus Schneider erhob sich schwungvoll aus seinem Drehstuhl und schnappte sich seinen Kaffeebecher. Er schaute seinen Kollegen fragend an.
»Nein, laß mal. Ich kann auch etwas Bewegung brauchen, sonst setze ich noch Rost an. Außerdem muß ich erst einmal meinen Kaffeebecher entseuchen.«
»Stimmt natürlich«, gab Schneider grinsend zurück. »In deinem fortgeschrittenen Alter brauchen die morschen Knochen mehr Training.«
Lachend wich er dem heranfliegenden Aktendeckel aus, der die staubige Grünpflanze nur um Haaresbreite verfehlte.
»Vorsicht, sonst beschädigst du noch Landeseigentum.«
»Ach was, dieser Amtsgummibaum ist doch schon längst in Rente. Es hat ihm nur niemand gesagt.«
»Wie war das damals, als der gepflanzt wurde? Hattet ihr da noch Pickelhauben?«
»Wenn du so weiter machst, wirst du deine Pensionierung jedenfalls nicht erleben.«
Mit einem Seufzer erhob sich auch Karlheinz Gödel aus seinem Bürostuhl und griff zu seinem Kaffeebecher. In diesem Augenblick klingelte das Telefon.
»War ja klar«, murmelte er, als er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ und lässig nach dem Hörer griff.
»Kriminalhauptkommissar Gödel«, meldete er sich gelangweilt. Plötzlich setzte er sich gerade hin, kritzelte etwas auf seinen Notizblock und brummte gelegentlich zustimmend. Sein Kollege schaute ihn erwartungsvoll an, als er auflegte.
»Stell den Kaffeebecher weg. Wir haben zu tun.«

* * *

»Gleich kommt die Ausfahrt Weiterstadt. Wir müssen jeden Moment da sein. Fahr schon mal auf den Standstreifen.«
Am Ende der langgezogenen Autobahnkurve kamen mehrere Blaulichter in Sicht. Schneider lenkte den Dienstwagen auf den Seitenstreifen, schaltete die Warnblinkanlage an und ließ den Wagen an den letzten Streifenwagen heranrollen. Ein uniformierter Polizist mit Kelle kam ihnen entgegen.
»Kriminalpolizei«, rief ihm Schneider durch das heruntergelassene Autofenster zu und hielt seinen Ausweis nach draußen.
Der Uniformierte nickte und blieb stehen. Nachdem Schneider und Gödel ausgestiegen waren, prüfte er ihre Ausweise.
»Zum Glück haben wir keinen Berufsverkehr. Sonst hätten wir jetzt einen kilometerlangen Stau. Gehen Sie einfach nach vorne. Es ist nicht zu übersehen.«
Die beiden Kriminalbeamten passierten den Polizisten und sahen nach wenigen Metern, was er gemeint hatte. An einem der zahlreichen Bäume am Rand der Autobahn hing ein nackter Mann an einem kräftigen Ast und schwankte im Wind.
»Geheimhalten wollte der Täter seine Tat jedenfalls nicht«, sinnierte Gödel.

»Mordkommission«, sagte Schneider lakonisch und hielt einem weiteren Uniformierten den Ausweis hin.
»Die Spurensicherung ist um den Baum herum bereits fertig«, informierte sie der Polizist. »Geben Sie Bescheid, wenn wir den Toten herunterholen können.«
Gödel und Schneider gingen an das Opfer heran. Dessen Füße baumelten keinen Meter über der Erde. Der Kopf hing auf die Brust herunter.
»Sieht aus wie Genickbruch.«
»Ja, aber nicht hier. Schau dir mal die Schlinge an, Markus. Das ist keine Henkersschlinge. Sie hat sich zugezogen. Das hätte das Opfer stranguliert und einen Blutstau im Gehirn verursacht, aber nicht das Genick gebrochen. Er hätte statt dessen einen dunkelroten bis blauen Kopf. Außerdem ist es unter dem Toten sauber.«
»Wie?«
»Na ja, bei einem Genickbruch verliert der Körper schlagartig die Kontrolle über die Muskeln. Insbesondere auch über die Schließmuskeln.«
»Er hat da was auf dem Rücken. Eine geometrische Figur und eine Nummer.«
»Was könnte das darstellen? Die Spurensicherung soll ein paar Großaufnahmen machen, nachdem sie ihn abgehängt haben.«
Gödel wandte sich an den Polizisten.
»Hat die Spurensicherung schon was entdeckt?«
»Nichts Brauchbares. Die Reifenspuren auf dem Standstreifen stammen vom Fahrzeug des Mannes, der den Toten gefunden hat. Die Fußspuren am Tatort selbst wurden verwischt, wahrscheinlich vom Täter.«
»Sie können den Mann jetzt herunterholen lassen. Komm Markus, wir fahren wieder ins LKA und lassen die Spezialisten hier ihre Arbeit machen.«

* * *

»Karlheinz, der vorläufige Obduktionsbefund ist gerade eingetroffen.«
»Ich habe niemanden hereinkommen sehen.«
»Per Mail.«
»Daran werde ich mich wohl auch erst noch gewöhnen müssen. Was steht denn drin?«
»Tod durch Genickbruch, verursacht durch einen Schlag mit einem spitzen Gegenstand. Könnte so etwas wie ein Meißel gewesen sein. Du hattest also recht damit, daß er nicht an dem Baum erhängt wurde. Insgesamt war der Tote wohl in einem schlechten Gesundheitszustand, bevor er starb. Die inneren Organe litten an Sauerstoffmangel. Ferner gab es Zerrungen an Armen und Oberkörper, sowie Druckstellen an Armen und Beinen. Letztere könnten von einer Fesselung stammen. Ohne den Genickbruch wäre er wohl auch in den nächsten Tagen gestorben. Hier ist noch etwas Interessantes. Er scheint die letzten Tage nichts gegessen zu haben. Dehydriert war er allerdings nicht. Getrunken hat er also. Ach ja, er müßte ungefähr 40 Jahre alt gewesen sein – plusminus 5 Jahre.«
»Tja, zumindest Selbstmord können wir definitiv ausschließen. Gibt es schon was zu der Zeichnung auf seinem Rücken und der Nummer?«
»Die Zeichnung ist noch rätselhaft, die Nummer scheint allerdings eine international eindeutige Kontonummer zu sein, eine sogenannte IBAN. Diese gehört zu einer Schweizer Bank.«
»Dann versuchen wir doch mal herauszubekommen, wem die gehört. Setz schon mal ein offizielles Amtshilfeersuchen auf, ich versuche, die Bank direkt anzurufen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Schweizer dir auf dem kleinen Dienstweg helfen werden. Denen ist das Bankgeheimnis doch heilig.«
»Warten wir’s mal ab«, meinte Gödel mit einem verschmitzen Lächeln und suchte sich die Telefonnummer der Bank heraus.

»Kriminalhauptkommissar Gödel vom deutschen Landeskriminalamt Wiesbaden. Wir haben hier ein Mordopfer, dem eine Kontonummer Ihrer Bank auf den Rücken geschrieben wurde. Bislang konnten wir den Toten nicht identifizieren. Deshalb würde ich gerne herausfinden, ob sich die Identität über den Inhaber des Kontos feststellen läßt. – Ja, mir ist klar, daß Sie den Namen eines Kontoinhabers nicht einfach auf eine telefonische Anfrage hin herausgeben können. Aber ich dachte, es sei Ihnen lieber, als wenn ich mich ans Fernsehen und an Tageszeitungen wende, die ein Bild von ihm mit dem Hinweis veröffentlichen, daß er eine Kontonummer Ihres Instituts auf den Rücken gebrannt bekam. Ich will schließlich keine Panik unter Ihren Kunden auslösen. – Ja, genau. Und mein Name ist Gödel. Hauptkommissar. Danke.«
»Und?«
»Warte mal einen Moment.«
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, daß die dir den Namen des Kontoinhabers verraten werden.«
Das Telefon klingelte und Gödel nahm ab.
»Ja, stellen Sie bitte durch. – Hallo? – Ja, hier Hauptkommissar Gödel. – Ja, das ist eine gute Idee. Soll ich es Ihnen per EMail oder per Fax schicken? – Moment, ich notiere. – Gut, dann bis gleich. Vielen Dank schon einmal.«
Schneider schaute ihn neugierig an.
»Zuerst einmal mußten die natürlich nachprüfen, ob ich auch wirklich vom LKA bin. Deswegen sind sie für den Rückruf über die Zentrale gekommen. Die Nummer ist ja öffentlich.«
»Und weiter?«
»Na ja, sie sagen, wenn wir ihnen ein Bild des Toten schicken können und es die gleiche Person ist, die beim Eröffnen des Kontos von der Überwachungskamera aufgenommen wurde, dann rücken sie den Namen heraus. Die Aufklärung des Mordes wäre ja dann im Interesse ihres – verstorbenen – Klienten.«
»Gut, daß die auf diese Idee gekommen sind.«
»Sonst hätte ich sie draufgehoben. So ganz neu ist dieses Vorgehen nämlich nicht.«
»Also in den Vorschriften ...«
»Es gibt auch Sachen, die nicht in den Vorschriften stehen. Manchmal kann eben ein Jungspund wie du noch etwas von Veteranen lernen. Und das ganz ohne Pickelhaube.«
Gödel rief in der Gerichtsmedizin an und ließ sich ein Bild des Gesichts des Toten zuschicken. Kurz nachdem er es per EMail an die Bank geschickt hatte, klingelte sein Telefon wieder. Als er auflegte, grinste er zufrieden.
»Unser Toter heißt mit hoher Wahrscheinlichkeit ›Thomas Glück‹.«
»Dann hat ihn wohl sein Glück kürzlich verlassen.«
»Klopf keine Sprüche. Klemm dich lieber ans Telefon und versuche beim Finanzamt herauszubekommen, ob die einen Thomas Glück führen, der etwa 40 Jahre alt ist. Wenn nicht, mußt du die Finanzämter der anderen Bundesländer abklappern.«
»Und was machst du?«
»Ich versuche bei unserem Chef einen Polizeipsychologen zu bekommen. Der Täter scheint doch einen Sprung in der Schüssel zu haben. Da wäre ein Fachmann nicht schlecht. Außerdem habe ich so ein Gefühl, als könnten demnächst noch mehr solche Opfer auftauchen.«

* * *

»Und, hattest du Erfolg beim Chef?«
Gödel verzog das Gesicht.
»Der einzige, in Frage kommende Polizeipsychologe ist an einem Entführungsfall dran. Und der Chef meint, daß es für unseren Toten nicht mehr so dringend sei. Den könnten wir sowieso nicht mehr retten.«
»Wenn er recht hat, hat er recht.«
»Und bei dir?«
»Wir haben genau einen Treffer, wohnhaft in Schwalbach bei Frankfurt. Ich lasse mir gerade das letzte Paßbild zuschicken.«
»Gut, wenn es der Richtige ist, beantrage gleich einen Durchsuchungsbefehl für morgen. Ich organisiere schon mal einen Polizisten mit Sperrpistole, um die Haus- bzw. Wohnungstür aufzubekommen.«
»Wieso habe eigentlich immer ich den Papierkram am Hals?«
»Weiß nicht. Schlechtes Karma?«
Diesmal duckte sich Gödel lachend, um dem heranfliegenden Aktendeckel zu entkommen.

Durchsuchung
(Dienstag, morgens)

»Nette Wohngegend. Hat das Finanzamt gesagt, was er beruflich macht?«
»Nein. Nur, daß er bei einer Bank arbeitet.«
»Bei der Schweizer Bank, bei der er das Konto hat?«
»Nein, er ist bei einem international tätigen Institut angestellt, das auch einen Sitz in Frankfurt hat. I2-Bank heißt sie, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Nie gehört.«
»Die hat wohl keine Privatkunden – zumindest keine in unserer Einkommensklasse. Irgendwas mit International Investment Banking.«
»Trotzdem seltsam, dieses Schweizer Konto. Vielleicht finden wir in der Wohnung weitere Details. Von den Schweizern werden wir auf die Schnelle sicher keine weiteren Auskünfte bekommen. Wir sind da. Das ist die Adresse.«
»Nicht schlecht. Ich tippe mal auf Bankdirektor.«
Der Streifenwagen, der sie begleitete, parkte direkt neben ihnen. Sie stiegen aus und klingelten. Vielleicht gab es ja Mitbewohner. Da niemand zur Tür kam und aus dem Haus auch keine Geräusche zu hören waren, öffnete ein Polizist die Tür mit seiner elektrischen Sperrpistole. Das Schloß sträubte sich nur wenige Sekunden gegen das Öffnungswerkzeug.
»Schon erschreckend, wie schnell die normalen Sicherheitsschlösser aufgehen«, murmelte Gödel.
»Die Tür war nur zugezogen. Sonst hätte es aber auch nur ein paar Sekunden länger gedauert. Ich habe zuhause eins dieser teuren Schlösser, die gegen solche Werkzeuge immun sind«, klärte sie der Uniformierte auf.
»Das habe ich mir auch schon hundertmal vorgenommen«, antwortete Gödel. »Nachdem ich gerade wieder gesehen habe, wie unsicher die Schließzylinder aus dem Baumarkt sind, werde ich wohl heute nach Feierabend in ein Fachgeschäft gehen.«

Sie betraten die Wohnung, in der es muffig roch. Offenbar war seit längerem nicht gelüftet worden. In einem großzügigen Wohnzimmer flimmerte ein riesiger Flachbild-Fernseher tonlos vor sich hin. Auf dem Tisch lag neben der Fernbedienung eine Fernsehzeitung von vorletzter Woche. Die Übersichtsseite von Dienstag war aufgeschlagen.
»Sieht aus, als wäre er hier überrascht und verschleppt worden. Rufen wir mal die Jungs von der Spurensicherung, bevor wir irgendwelche Hinweise zertrampeln. Kampfspuren sehe ich hier jedenfalls keine.«
»Wahrscheinlich hat sein Entführer geklingelt, Glück hat den Fernseher stummgeschaltet und ist zur Tür gegangen.«
»Gut möglich. Laß uns mal die Nachbarn befragen. Vielleicht ist jemandem etwas aufgefallen.«
»Sie rufen bitte die Spurensicherung und passen dann hier auf, daß sonst niemand ins Haus geht«, sagte Gödel an den Uniformierten gewandt.

* * *

»Guten Tag, Frau Meyer, mein Name ist Gödel, Kriminalpolizei. Ist Ihnen vorletzte Woche etwas Ungewöhnliches in der Nachbarschaft aufgefallen? Insbesondere bei Herrn Glück gegenüber?«
Die Dame mittleren Alters, die ihm die Tür aufgemacht hatte, schaute ihn mißtrauisch an.
»Guten Tag. Kann ich bitte Ihren Ausweis noch einmal sehen? – Danke. Man weiß ja nie, ob sich nicht jemand bloß als Polizist ausgibt, zumal Sie ja keine Uniform anhaben. – Ob ich etwas gesehen habe? Ich spioniere doch den Nachbarn nicht nach.«
»Das wollte ich Ihnen auch nicht unterstellen. Aber vielleicht haben Sie ja zufällig etwas bemerkt.«
»Vorletzte Woche? Lassen Sie mich überlegen. Da war Herr Glück wohl zuhause. Montags alle zwei Wochen werden bei uns die Papiertonnen geleert. Das macht immer einen ziemlichen Lärm, wissen Sie? Da habe ich gesehen, wie er noch schnell mit seinem Papiermüll herausgelaufen kam, als die Müllabfuhr schon fast bei seiner Tonne war. Ansonsten? Nein. Sonst ist mir nichts ausgefallen. – Warten Sie. Doch, da war noch etwas. Es könnte am nächsten Tag am späten Nachmittag gewesen sein. Da bekam Herr Glück ein großes Paket von einem dieser neuen Kurierdienste. Offenbar war das aber ein Versehen. Denn der Paketbote ist gleich darauf wieder mit dem Paket zum Auto zurückgegangen und hat es eingeladen.«
»Wissen Sie, welcher Paketdienst es war?«
»Es war so ein blauer Wagen mit gelbem Blitz. An der Seite stand ›Geölter Blitz‹ und die Nummer 124. Der Bote hatte eine blaue Hose, eine quietschgelbe, weite Jacke und eine blaue Kappe – so eine Baseball-Kappe auf. Er hatte auch noch so eine häßliche Brille auf. Wie ein Kassengestell von vor 20 Jahren.«
»Können Sie den Mann noch weiter beschreiben? Wie groß war er? Hatte er noch irgendwelche Besonderheiten?«
»Tut mir leid, aber abgesehen von seiner albernen Bekleidung ist mir nichts an ihm aufgefallen.«
»War das Paket groß?«
»Ja ziemlich. Wie für eine Waschmaschine. Und wohl auch ziemlich schwer. Der Bote hatte es mit so einem Ding mit zwei Rädern und langen Griffen zum Haus geschoben.«
»Mit einer Sackkarre?«
»Ja, so nennt man das wohl. Aber jetzt, wo sie mich fragen, fällt mir noch etwas Komisches ein.«
»Ja?«
»Auf dem Rückweg hat er es über ein langes Brett in den Wagen zurückgeschoben. Als er ankam, holte er es einfach so vom Wagen. Komisch, oder? Als wäre es auf dem Rückweg schwerer gewesen. Aber vielleicht hat er ja auch nur etwas abgeholt.«
»Gab es sonst noch etwas Bemerkenswertes in der vorletzten Woche?«
»Nein, sonst gab es nichts. Außer vielleicht, daß ich Herrn Glück danach nicht mehr gesehen habe. Mir ist nicht einmal aufgefallen, daß er – wie sonst – mit seinem Angeber-Porsche zur Arbeit gefahren wäre. Ist ihm etwas passiert?«
»Das versuchen wir herauszubekommen. Vielen Dank für Ihre Beobachtungen. Ich wünschte, wir hätten öfter solche aufmerksamen Zeugen wie Sie.«
»Ach, ich bitte Sie, ich helfe doch gerne.«

* * *

»Und Markus, hast du etwas herausbekommen?«
»Nicht wirklich. Die meisten Leute hier kümmern sich wohl nur um ihre eigenen Angelegenheiten. Aber zwei meinten, daß wir Frau Meyer befragen sollten. Die sei hier so etwas wie die Auskunftei der Straße.«
»Mit der habe ich gerade gesprochen«, lachte Gödel. »Und sie hat tatsächlich einiges gesehen.«
Er erzählte seinem Kollegen von den Beobachtungen der Zeugin.
»Das klingt, als hätte sie die Entführung beobachtet. Kennst du einen Paketdienst namens ›Geölter Blitz‹?«
»Nie gehört. Aber das sollte sich herausfinden lassen. Seit dem Ende des Postmonopols gibt es ja einige neue Dienste.«
»Die Spurensicherung ist übrigens inzwischen eingetroffen. Sollen wir denen ein bißchen auf den Wecker fallen?«
»Nein, laß die in Ruhe ihren Job machen. Wir haben noch ein ›Date‹ mit Dr. Frankenstein.«
»Och nö. Dazu brauchst du mich doch nicht. Kann der nicht einfach seinen Bericht schreiben und uns zuschicken? Mir ist heute nicht nach schwarzem Humor mit Leichenteilen.«
»Papperlapapp. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Du kommst mit.«

* * *

»Hallo Herr Dr. Stein. Sie haben etwas für uns?«
»Hallo Herr Gödel. Ach und da ist ja auch ihr ewig blasser Kollege Schneider.«
Dr. Stein grinste Schneider über seine Nickelbrille hinweg an.
»Ja, ich habe tatsächlich Einiges für Sie. Wobei mir besonders zu schaffen macht, daß ich eins NICHT habe, nämlich eine Erklärung für den üblen Gesundheitszustand unseres Gastes.«
Er deutete mit dem Kopf auf den toten Körper, der auf seinem Seziertisch lag.
»Sein Gesundheitszustand scheint sich innerhalb einer Woche rapide verschlechtert zu haben. Gift ist nicht im Spiel. Und krank war er auch nicht. Aber kommen wir erst einmal zu den Fakten, die ich Ihnen sagen kann. Gestorben ist er einige Stunden, bevor er gefunden wurde, und zwar durch einen gewaltsam herbeigeführten Genickbruch. Die Totenstarre hat erst eingesetzt, als er bereits an dem Baum hing, an dem er gefunden wurde. Wahrscheinlich wurde er kurzzeitig kühl gelagert, um die Verwesung – und damit die Totenstarre – hinauszuzögern. Einige Hautverletzungen legen das nahe. Trotzdem dürfte er erst in der vergangenen Nacht gestorben sein.«
Der Pathologe trat an den Toten heran und deutete mit seinem Kugelschreiber auf dessen Arme.
»An seinen Handgelenken und Armen sind deutliche Spuren einer längeren und ziemlich strammen Fesselung zu erkennen. Auch seine Fußgelenke waren wohl längere Zeit gefesselt, allerdings weniger fest. An den Fußsohlen befinden sich schwache Reste mehrerer punktförmiger Verbrennungen, wie Elektro-Schocker sie hinterlassen. Er ist möglicherweise gefoltert worden, allerdings nicht in den letzten vier bis fünf Tagen vor seinem Tod.«
Schwungvoll und etwas rüde drehte er den toten Körper auf den Bauch.
»Die trapezförmige Zeichnung und die Nummer auf dem Rücken sind mit einem sehr heißen Gegenstand in die Haut gebrannt worden, vielleicht mit einem Lötkolben. Allerdings war unser Freund da bereits tot. Es sind auch Hautschäden am Rücken und am Hintern erkennbar. Die sind allerdings schon weitgehend verheilt, also bestimmt schon einen Monat alt.«
Aus einer Metallschale hob er mehrere schwabbelige, blutige Teile heraus.
»Leber, Milz, Herz und Nieren sind durch Sauerstoffmangel angegriffen, wie sie hier an der Schädigung des Gewebes erkennen. Vor allem das Herz hätte nicht mehr lange mitgemacht.«
Gödel schaute nicht auf das Gewebe, sondern direkt ins Gesicht von Dr. Stein. Schneider schluckte hart und trat ein Stück zurück, als der Doktor mit den Organen näher kam.
»Ich mache mir nichts aus Innereien. Filetsteak ist mir lieber«, lenkte Gödel die Aufmerksamkeit des Pathologen wieder auf sich. »Gibt es noch weitere Erkenntnisse?«
»Im Moment leider nicht. Ich werde noch einige Untersuchungen machen. Sollte ich noch etwas herausfinden, sage ich Ihnen Bescheid.«
»Eine EMail reicht«, kam es gepreßt von Schneider.
Dr. Stein grinste ihn kalt an.
»Wir haben ja schon fast Mittagszeit«, ergänzte er nach einem Blick auf die Uhr. »Da will ich Sie nicht vom Essen abhalten. Guten Appetit die Herren.«

»Ich hasse diesen Typ«, fauchte Schneider, als sie die Pathologie verließen. »Warum muß der immer so eine Show abziehen?«
»Die meiste Zeit war er doch heute recht sachlich. Ich glaube, es wurmt ihn gewaltig, daß er in mancher Hinsicht noch immer im Dunkeln tappt.«
»Als er mit den Eingeweiden herumgewedelt hat, hätte ich ihn erschlagen können.«
»Und ich darf dann in einer Leichenhalle als Tatort ermitteln? Beherrsch dich gefälligst. Kommst du mit in die Kantine, Markus?«
»Nach dem Gruselkabinett von eben? Ich glaube, ich bekomme keinen Bissen hinunter. Was gibt’s denn heute überhaupt?«
»Leber. – Nein, war Quatsch. Es gibt Schnitzel mit Pommes oder ein vegetarisches Kartoffelgratin.«
»Na gut, dann was Vegetarisches.«

Verdachtsmomente
(Dienstag, mittags)

»Die Spurensicherung hat einige interessante Sachen entdeckt.«
»Komisch, ich habe noch gar keine EMail bekommen.«
Gödel wedelte mit einem Stapel Papier.
»Es soll noch ein Leben außerhalb des Computers geben. Hier, nimm mal die Hälfte der Blätter und schau dir an, ob etwas Brauchbares dabei ist.«
Er reichte seinem Kollegen einige der Ergebnisse der Spurensicherung. Den Rest blätterte er selbst durch.
»Hier steht etwas über seine Konten. Auf dem Schweizer Konto scheint es einige Eingänge gegeben zu haben. Das normale Girokonto weist dagegen vergleichsweise normale Buchungen auf. Viertausend Euro monatliches Gehalt ist zwar nicht schlecht, auf das Schweizer Konto kamen aber in der gleichen Zeit etwa 20.000 Euro. Und das offenbar regelmäßig.«
»Ob er die wohl versteuert hat? Wenn nicht, erscheint vielleicht gerade ein Motiv am Horizont. Klär’ das nachher mal mit dem Finanzamt ab. Die sollen sich aber noch zurückhalten, bis wir mit unseren Mordermittlungen fertig sind. Wir brauchen jetzt keine aufgescheuchten Verdächtigen.«
»Hier ist noch was Interessantes. Auf seinem PC gibt es einen hitzigen Mailwechsel mit einem Hobby-Astronomen.«
»Ja und?«
»Es geht um eine vermeintliche Supernova im Sternbild des Großen Wagens.«
»Sehr spannend.«
»Überleg doch mal. Das Sternbild sieht ungefähr aus wie ein Trapez, also wie die Zeichnung auf dem Rücken des Toten.«
»Stimmt. Es würde mich allerdings sehr überraschen, wenn jemand einen anderen wegen einer Meinungsverschiedenheit im Internet umbringen würde. Aber okay, versuche herauszubekommen, wer der Typ ist.«
»Sag mal«, fuhr Gödel nach einer Pause fort, »du kennst dich doch mit dem ganzen neumodischen Kram aus. Was ist eigentlich eine 700er-Nummer? 800er sind kostenlos und 900er so ein teures Zeug wie Sex-Hotlines. Aber was sind 700er-Nummern?«
»Weiß ich jetzt auch nicht. Aber das läßt sich ja feststellen. Wieso interessiert dich das eigentlich?«
»Das Opfer hat etwa einen Monat vor seinem Verschwinden mehrfach eine 700er Nummer vom Handy aus angewählt. Das ist in der Wahl-Historie des Gerätes zu finden. Auf seiner letzten Telefonrechnung taucht die Nummer allerdings nur einmal auf. Wahrscheinlich hatte er die anderen Male aufgelegt, bevor jemand an den Apparat ging.«
»Ich schau mal bei Google.«
Gödel ging um den Schreibtisch herum und schaute seinem Kollegen interessiert über die Schulter. Nachdem er einige Seiten Suchergebnisse durchblättert hatte, stieß Schneider auf einen Eintrag der Bundesnetzagentur.
»Da hätte ich eigentlich gleich drauf kommen können. Egal. Also, eine 0700-Nummer ist eine persönliche, orts- und geräteunabhängige Nummer. Sie wird normalerweise über einen Provider, also beispielsweise eine Telefongesellschaft, betrieben und kann dann auf beliebige Nummern umgeleitet werden. Eventuell auch gleichzeitig. D. h. es klingelt dann im Büro, auf dem Handy und zuhause gleichzeitig und man nimmt den Anruf dann dort entgegen, wo man sich gerade befindet. Es gibt noch zahlreiche, weitere Möglichkeiten, je nach Provider.«
»Klingt kompliziert. Vielleicht sollte ich die Nummer einfach mal anrufen und feststellen, wer sich dort meldet.«

Gödel ging wieder zu seinem Schreibtisch und wählte die Nummer von seinem Diensttelefon aus. Als der Anruf angenommen wurde, stellte er auf Lauthören.
»Hier bei Lady Larissa«, meldete sich eine Frauenstimme. »Möchtest du einen Termin haben?«
Einen Moment war Gödel perplex. Sein Gegenüber grinste breit.
»Ähm.«
»Du rufst das erste Mal bei uns an? Keine Angst, wir sind hier sehr diskret. Sag mir doch zuerst einfach mal den Vornamen, mit dem du angeredet werden möchtest. Es muß nicht dein richtiger Name sein. Nur Mut.«
Ein schelmischer Ausdruck glitt über Gödels Gesicht.
»Markus«, antwortete er. Sein Kollege schaute ihn böse an.
»Gut Markus, warst du schon mal bei einer Domina?«
»Nein, noch nie«, antwortete er diesmal wahrheitsgemäß.
»Keine Angst, das macht gar nichts. Wann möchtest du denn einen Termin haben?«
»Geht es noch heute?«
»Moment, ich schaue mal. Ja, um 16 Uhr. Ist das für dich okay?«
»Kommt drauf an. Wo soll ich denn hinkommen?«
»Hast du uns nicht im Internet gefunden?«
»Nein, ich habe die Nummer von einem Bekannten.«
»Aber dein Bekannter hat dir schon gesagt, daß die Lady ihr Studio in Frankfurt hat, oder?«
»Ja, aber nicht, wo es genau ist.«
»Das ist kein Problem. Beim ersten Mal trifft dich Lady Larissa ohnehin in einem Café. Kennst du das Café in der Hauptwache?«
»Natürlich.«
»Gut. Dort triffst du dich mit ihr. Du wirst dir eine einzelne Baccara-Rose kaufen und dich damit alleine an einen Tisch setzen. Die Lady erwartet dich frisch geduscht, falls du magst, mit einem dezenten Herrenduft, und 400 Euro, die du ihr gibst, wenn sie dir eine einstündige Audienz in ihren Räumen gewährt. Komm pünktlich, am besten etwas zu früh. Hast du noch Fragen?«
»Bist du Lady Larissa?«
»Nein, ich mache nur die Termine. Die Lady sprichst du selbstverständlich mit ›Sie‹ an. Und sie erwartet höfliches Benehmen. Gibt es noch etwas, das du wissen möchtest?«
»Nein.«
»Gut, dann trage ich jetzt den Termin für dich ein. Okay?«
»Ja.«
»Viel Spaß.«
Das Telefon wurde aufgelegt.
»Das verspricht eine interessante Zeugenvernehmung zu werden«, sagte Gödel grinsend, während er sich in seinem Bürostuhl zurücklehnte.
»Das mit dem Namen war ja wohl eine Frechheit«, ereiferte sich Schneider.
»Warum? Du hast keine Exklusivrechte auf ›Markus‹. Außerdem darfst du gerne dabei sein und klarstellen, wer hier der richtige Markus ist.«
»Hieß es nicht, du sollst alleine dort auftauchen?«
»Es war nur die Rede davon, daß ich alleine an einem Tisch sitzen soll. Du setzt dich an einen anderen Tisch und kommst erst hinzu, wenn die ›Lady‹ erschienen ist. Wenn du möchtest, darfst du dich auch mit der Rose hinsetzen.«
»Nein, nein. Mach du das mal schön selbst. Du hast ja auch den Termin ausgemacht. Außerdem möchte ich zu gerne sehen, wie dir die Domina den Hintern versohlt.«
»Gib dich keinen Illusionen hin. Soweit wird es nicht kommen. Auf Staatskosten gibt es nur die Zeugenvernehmung. Aber du kannst ja 400 Euro mitnehmen und dir eine ›Audienz‹ geben lassen. Ich höre mir hinterher gerne deine Zeugenaussage an.«
»Sehr witzig.«
»Wir haben noch Zeit bis zur ›Audienz‹. Du kannst also noch wegen des Schweizer Kontos mit dem Finanzamt telefonieren. Oder bist du zu aufgeregt dafür?«
»Das hättest du wohl gerne«, gab Schneider säuerlich zurück und griff zum Telefonhörer.

(Ende der Leseprobe)

Zurück zum Seiteninhalt