Kurzgeschichten
Drei Wünsche
„Du hast drei Wünsche frei“, erklang eine piepsige Stimme neben ihm und störte seine Konzentration. Verwirrt schaute er sich um. Ohne das Summen ihrer schnell schlagenden Flügel hätte er sie wohl noch länger suchen müssen. So schaute er in die Richtung dieses Geräusches und entdeckte sie schließlich. Doch auch danach brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was er eigentlich sah. Sie schwebte etwa einen Meter über dem Boden und war nicht größer als zehn Zentimeter. Er schüttelte den Kopf und überlegte, ob er vor seiner Radtour irgend etwas Verdorbenes gegessen haben könnte. Da er nur ganz normal gefrühstückt hatte – und das schon eine ganze Weile her war – konnte sein letztes Essen unmöglich für diese Halluzination verantwortlich sein. Oder war er, während er auf dem Boden hockte und das Loch in dem Schlauch seines Vorderradreifens suchte, irgendwelchen berauschenden Pilzen zu nahe gekommen? Sicherheitshalber blickte er sich noch einmal um. Er konnte aber keine Pilze oder sonstige ungewöhnliche Pflanzen entdecken. Das einzige, was hier nicht stimmte, war die winzige Fee, die mit schillernden, schnell schlagenden Flügeln in sein Blickfeld geflattert war.
„Es wäre nett, wenn du dich etwas beeilen könntest“, brachte sie sich wieder in Erinnerung. „Ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“
„Wie komme ich eigentlich dazu, daß du mir drei Wünsche erfüllen willst?“, wollte er von ihr wissen. Gleichzeitig fragte er sich, ob er noch ganz bei Verstand sei, sich mit einem Märchenwesen zu unterhalten.
„Es ist also dein erster Wunsch, daß ich dir das erkläre?“
„Nein, das wollte ich nur so wissen.“
Ganz so verschwenderisch wollte er mit den drei Wünschen lieber nicht umgehen.
„Das ist mal wieder typisch“, seufzte die Fee. „Kaum haben die Menschen drei Wünsche frei, wollen sie gleich noch ein paar Gratis-Zugaben haben.“
Herbert begann zu überlegen, was er sich schon immer gewünscht hatte. So auf Anhieb wollte ihm partout nichts einfallen. Genaugenommen war er annähernd wunschlos glücklich:
Er war seit langem glücklich verheiratet, war für sein Alter noch ausgesprochen rüstig und hatte auch keine finanziellen Sorgen. Dann fiel ihm ein, daß seine Frau in letzter Zeit gesundheitlich etwas angeschlagen war.
„Also gut“, meinte er, „dann wünsche ich mir als erstes, daß es meiner Frau gesundheitlich wieder gut geht.“
„Sehe ich vielleicht aus wie ein Arzt?“, gab die Fee erbost zurück. „Oder als könnte ich Wunder vollbringen?“
Irritiert schaute Herbert sie an.
„Wenn du keine Wunder vollbringen kannst, warum bietest du dann an, mir drei Wünsche zu erfüllen? Was für Wünsche kannst du denn erfüllen?“
„Jetzt soll ich dir auch noch den ganzen Katalog möglicher Wünsche aufzählen? Ich finde, das ist ein bißchen zu viel verlangt.“
„Na gut, dann hilf mir dabei, das Loch in meinem Fahrradschlauch zu finden, damit ich ihn flicken kann.“
„Das wäre ja noch schöner. Dabei würde ich mich ja ganz dreckig machen.“
Herbert hätte nie erwartet, daß Feen so zickig sein könnten. Genaugenommen hatte er sich noch nie Gedanken darüber gemacht. Er hätte bisher nicht einmal geglaubt, daß es welche geben könnte. Jedenfalls schien diese Fee zu nichts anderem gut zu sein, als ihn von seiner Arbeit abzuhalten.
„Dann laß mich einfach in Ruhe mein Fahrrad reparieren und nerve jemand anderen.“
„Das waren erst zwei Wünsche. Einen hast du noch.“
„Verschwinde endlich.“
„Okay, das war der dritte“, sagte die Fee und verschwand.
Kaum wandte er sich wieder seinem undichten Fahrradschlauch zu, hörte er erneut eine Stimme.
„Na, du Schlafmütze. Willst du deinen ganzen Geburtstag verschlafen?“
Er öffnete die Augen und schaute seiner Frau ins gutmütige Gesicht.
„Ich mach’ uns jetzt erst mal einen Kaffee und nehme etwas von dem Kuchen aus dem Kühlschrank. Hast du einen speziellen Wunsch?“
‚Nicht schon wieder’, dachte er für einen Moment. Dann grinste er und erwiderte:
„Nein, ich bin wunschlos glücklich.“
© 04/2005 Why-Not
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