Dumm gelaufen - Stories von Why-Not

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Kurzgeschichten
Dumm gelaufen
Gesichter des Todes (3)

  Breit grinsend klopfte Otto auf den Koffer, der neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Nicht, daß er das Geld nötig gehabt hätte. Aber warum sollte er darauf verzichten. Alle anderen taten es schließlich auch nicht. Na gut, so ein paar idealistische Spinner gab es schon noch. Die richteten sich mit ihrem Abstimmungsverhalten tatsächlich noch nach ihrem Gewissen.
  Otto lachte laut auf. Eigentlich tat er das ja auch. Sein Gewissen sagte ihm, daß er ein Idiot wäre, wenn er nicht für das stimmen würde, was am besten bezahlt wurde. Schließlich gab für ihn immer das wirtschaftliche Wohl den Ausschlag – sein Wohl, natürlich.
  Die ersten Hinweisschilder auf die nahe Grenze tauchten auf. Andere würden jetzt ihre Geldkoffer unauffällig im Auto verstecken. Aber er war ja schließlich Abgeordneter und genoß Immunität. Das war schon ein toller Beruf. Geld vom Staat, ein Vielfaches von der Wirtschaft und das alles sogar legal. Klar, man ließ sich nicht bestechen, sondern schloß Beraterverträge ab, für die man nie etwas tun mußte, außer gelegentlich ‚richtig’ abzustimmen. Eigentlich eine ziemlich offensichtliche Form der Korruption. Aber so waren halt die Gesetze. Und eine Änderung bekäme natürlich nie die Mehrheit bei den Abgeordneten. Lästig waren nur die Wahlen. Aber mit der flächendeckenden Einführung der Wahlmaschinen sollte sich auch dieses Problem in den Griff bekommen lassen. Die Verhandlungen mit den Herstellern waren schon sehr vielversprechend.
  Lediglich die häufigen Fahrten ins Ausland, um die Einnahmen steuerfrei anlegen zu können, waren nervtötend. Besonders in einer Nacht wie dieser, in der es sturzflutartig regnete. Wenigstens war die Straße frei. In der letzten halben Stunde war ihm nicht ein einziger Wagen begegnet. Ungeduldig trat er aufs Gaspedal.
  Als er die geschlossene Wasserfläche auf der Straße erkannte, war es bereits zu spät zum Bremsen. Der Wagen schoß geradeaus weiter, statt der Straße in einer sanften Kurve zu folgen. Langsam drehte sich das Auto quer zur Fahrtrichtung, während es sich mit unverminderter Geschwindigkeit der Leitplanke näherte. Auf dem Standstreifen endete die Wasserfläche. Das Fahrzeug stoppte ruckartig, überschlug sich und touchierte die Leitplanke mit dem Dach, während es über sie hinwegflog und die Böschung hinabstürzte. Immer wieder berührte dabei ein Teil des Wagens kurz den Abhang und gab der Drehung um die Längsachse neuen Schwung. Schließlich wurde die Bewegung von einem seichten Bachbett abrupt beendet. Deutlich zu spät blähten sich alle Airbags im Fahrzeuginneren auf. Aus unerfindlichen Gründen ging auch die Innenbeleuchtung an.

  „Sie haben sich ein ziemlich mieses Wetter für Ihre Flugakrobatik ausgesucht.“
  Otto schaute sich irritiert um. Nach dem Sturz hatte er zunächst die Orientierung verloren. Der Geldkoffer hatte sich geöffnet und 500-Euro-Scheine im ganzen Wagen verteilt. Draußen, im strömenden Regen schaute jemand zur Fahrertür hinein. Hastig beschloß Otto, die Geldscheine zusammensuchen, damit der Passant sie nicht sah. Allerdings wollten ihm die Bewegungen nicht gelingen. Er hing beinahe regungslos im Sicherheitsgurt. Nur den Kopf konnte er drehen. War er verletzt?
  „Interessante Schonbezüge haben Sie in Ihrem Auto“, ergriff der Mann an der Fahrertür wieder das Wort. Er deutete dabei auf die Geldscheine.
  „Machen Sie keine Witze. Helfen Sie mir lieber. Ich bin verletzt.“
  „Nun stellen Sie sich wegen des Blutflecks auf Ihrem Hemd nicht so an.“
  Erschrocken schaute Otto auf seine Brust und sah im fahlen Licht der Innenbeleuchtung, wie sich ein dunkelroter Fleck immer weiter über sein weißes Hemd ausbreitete.
  „Sie müssen mir helfen! Wenn Sie das nicht tun, ist das unterlassene Hilfeleistung. Das ist strafbar.“
  Allmählich spürte Otto Panik in sich aufsteigen. Warum unternahm dieser dämliche Passant nicht endlich etwas, statt sich über ihn lustig zu machen?
  „Ich?“, fragte der Passant lächelnd, „Ich muß gar nichts. Sie müssen etwas. Nämlich sterben.“
  „Was?!?“
  Ottos Gesicht verlor die für ihn charakteristische, rötliche Farbe.
  „Unternehmen Sie endlich etwas. Rufen Sie einen Krankenwagen.“
  „Warum sollte ich so etwas tun?“
  „Ich bin eine wichtige, politische Persönlichkeit.“
  Der Passant lachte schallend.
  „Na gut. Ihnen ist das egal. Macht nichts. Ich bezahle Sie. 5000 Euro, wenn Sie endlich einen Rettungswagen rufen. Oder besser einen Rettungshubschrauber.“
Otto überlegte, ob er noch mehr von dem Geld in seinem Wagen anbieten sollte.
  „Wenn ich warte, bis Sie gestorben sind, kann ich mir das ganze Geld nehmen. Wirklich verlockend ist Ihr Angebot nicht gerade.“
  „Okay, dann nehmen Sie sich alles. Und Sie bekommen noch einmal das Gleiche. Aber rufen Sie endlich einen Notarzt!“
  „Tja, schade, daß ich mit Geld überhaupt nichts anfangen kann. Aber das macht genaugenommen auch nichts. Denn Sie haben etwas anderes, für das ich mich wirklich brennend interessiere.“
  Deutlich spürte Otto, wie das Leben aus ihm entwich. Es fiel ihm immer schwerer, vor Angst überhaupt noch zusammenhängend zu denken.
  „Nehmen Sie sich, was Sie wollen, aber handeln Sie endlich!“
  „Keine Frage, ich werde mir nehmen, wofür ich ein sprichwörtlich brennendes Interesse habe“, antwortete der Passant mit heiterer Stimme, „nämlich Ihre Seele.“
  Das letzte, was Otto noch lebend hörte, war ein diabolisches Lachen.

© 03/2007 Why-Not

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